Aqua Jogging – oft unterschätzt, aber ein äusserst effektives Tool im Ausdauertraining für Läufer:innen und Triathlet:innen aller Leistungsstufen. Besonders in der Regenerationsphase, bei Gelenkproblemen, als Alternative bei Verletzungen oder zur Ergänzung des klassischen Lauftrainings bietet diese Trainingsform im tiefen Wasser (ohne Bodenkontakt) ein nahezu orthopädisch risikofreies, dennoch forderndes Ausdauer- und Techniktraining.
Das folgende 90–120-minütige Programm basiert auf einem sogenannten Pyramiden-Training mit Fokus auf dem Sweet Spot Training (SST). Es verbindet physiologisch sinnvolle Belastungsbereiche mit gezielten Technikübungen zur Laufökonomie, intermuskulären Koordination und mentalen Fokussierung – unter Bedingungen, die auch das visuelle System herausfordern.
Warum Aqua Jogging in der Pyramiden-SST-Variante?
Das „Sweet Spot Training“ (SST) bezeichnet einen intensiven, aber nachhaltigen Trainingsbereich knapp unterhalb der anaeroben Schwelle (ca. 85–90 % der maximalen Herzfrequenz bzw. 88–94 % der FTP, wenn aus dem Radsport übertragen). In Studien wurde gezeigt, dass dieser Bereich (z. B. Esteve-Lanao et al., 2007 oder Seiler & Tønnessen, 2009) ein besonders effizienter Stimulus für die Verbesserung der aeroben Leistungsfähigkeit ist – ohne dabei das zentrale Nervensystem oder den Bewegungsapparat übermässig zu belasten.
In Kombination mit einer „Pyramidenstruktur“ – bei der die Intervalle sukzessive verlängert und danach wieder verkürzt werden – ergibt sich ein spannendes, forderndes und gleichzeitig strukturiertes Training, das sowohl physiologische als auch mentale Aspekte abdeckt. Der zusätzliche Reiz im Wasser besteht darin, dass visuelle Fixpunkte fehlen, was das Gleichgewicht, die Orientierung im Raum und das visuelle Reaktionsvermögen mittrainiert – ähnlich wie beim Traillauf oder bei Radabfahrten.
Für wen ist dieses Training geeignet?
Dieses Training richtet sich primär an:
- Läufer:innen, die ihre Grundlagenausdauer stärken oder sich in einer Reha- oder Offseason-Phase befinden
- Triathlet:innen aller Distanzen, speziell Langdistanz und 70.3, die zusätzliche Reize ohne muskuläre Ermüdung setzen wollen
- Trailrunner:innen, bei denen Koordination und Balance besonders gefordert sind
- Athlet:innen mit Überlastungsproblemen oder Verletzungen am Bewegungsapparat (z. B. Tibialis posterior-Syndrom, Achillessehnenreizungen, Hüftbeugerprobleme)
Ziel ist es, ein intensives kardiovaskuläres Training durchzuführen, das den Laufstil und die Frequenzmuster schult, die intramuskuläre Koordination verbessert und gleichzeitig Sehnen und Gelenke vollständig entlastet.
Aufbau und Erklärung des Trainings:
Das Training ist in vier Hauptphasen unterteilt:
- Aufwärmphase & Aktivierung (20–25 min)
- Pyramiden-SST Hauptteil (45–70 min)
- Technik- & Visuomotorikteil (10–15 min)
- Cool Down & Wahrnehmungsschulung (10–15 min)
1. Aufwärmen & Aktivierung (20–25 min)
Ziel: Steigerung der Herzfrequenz, Mobilisation der Hüfte, Aktivierung der Rumpfmuskulatur und mentale Einstimmung auf das Training.
Beispielinhalte:
- 5 Minuten lockeres Aqua Jogging mit Fokus auf grosse Amplituden
- 3 x 1 Minute: hohe Frequenz (über 90–100 Schritte/Min), dazwischen 30 Sek locker
- 3 Minuten „Kraulbeine im Stand“ mit Rumpfrotation (Core-Aktivierung)
- 3 Minuten „Lauf-ABC“ im Wasser: Kniehebelauf, Fersenlauf, Seitgalopp (je 30 Sek)
- 2 Minuten Augen fixieren auf Beckenrandpunkt während Richtungswechseln (Stimuliert Gleichgewicht und visuelle Reaktion)
2. Hauptteil – Pyramiden-SST (45–70 min)
Trainingsfokus:
- Arbeiten im Sweet Spot Bereich (submaximale Belastung)
- Nutzung einer Pyramidenstruktur: 2 / 4 / 6 / 8 / 6 / 4 / 2 Minuten Intervalle
- Aktive Pausen dazwischen in halber Intervallzeit
- Fokus auf Frequenz (Schrittrhythmus), Core-Stabilität und Atemrhythmus
Begründung:
Diese Art des Belastungsprofils fördert die Laktattoleranz, verbessert die Effizienz des Herz-Kreislauf-Systems und sorgt gleichzeitig für mentale Belastbarkeit. Die Intervalle simulieren Steigerungsläufe bzw. welliges Gelände wie bei einem Traillauf oder langen Triathlon-Radsegmenten.
Tipp: Pulsmessung über Brustgurt oder RPE-Skala (8/10 während der Intervalle).
3. Technikteil & visuelle Stimulation (10–15 min)
Übungen mit geschlossenen Augen oder Blickfixierung:
- 2 x 2 Minuten Aqua Jogging mit geschlossenen Augen (Selbstwahrnehmung)
- 3 x 1 Minute: schnelle Frequenzläufe mit Fixierung eines sich bewegenden Punktes (z. B. Schwimmer auf der anderen Bahn)
- 3 x 30 Sekunden Sprungläufe im Wasser (Knie explosiv anziehen, viel Core-Einsatz)
Nutzen: Verbesserung der Propriozeption, sensorischen Integration und Balance – Aspekte, die im Gelände und bei längeren Belastungen oft limitierend wirken.
4. Cool Down & Integration (10–15 min)
Ziel: Den Körper herunterfahren, Atmung regulieren, mentale Ruhephase einleiten.
Inhalte:
- 5 Minuten sehr lockeres „Schweben“ mit minimalem Vortrieb
- 5 Minuten Bewegung mit langen Bewegungsbögen (Beinpendel, Armkreise)
- 2–3 Minuten bewusste Bauchatmung (Kopf über Wasser)
Zusätzliche Hinweise zur Durchführung:
- Wassertiefe: mind. 1,80 m (kein Bodenkontakt!)
- Optional: Aqua-Jogging-Gürtel zur Auftriebshilfe, besonders für Einsteiger
- Herzfrequenzsensoren funktionieren teilweise auch im Wasser (z. B. Polar H10)
- Idealerweise in einer ruhigen Schwimmbadzeit oder reservierten Bahn durchführen
Trainingsübersicht zum Mitnehmen ans Becken (Workout Guide):
Aqua Jogging SST-Pyramide – 90–120 Minuten
Phase 1: Aufwärmen & Aktivierung (20–25 Min)
- 5 Min locker joggen
- 3x 1 Min Frequenz (90–100 RPM) mit 30 Sek locker
- 3 Min Kraulbeine mit Core-Fokus
- 3 Min Lauf-ABC im Wasser
- 2 Min visuelle Fixierung + Richtungswechsel
Phase 2: Pyramiden-Intervalle (ca. 60 Min)
- 2 Min intensiv / 1 Min locker
- 4 Min intensiv / 2 Min locker
- 6 Min intensiv / 3 Min locker
- 8 Min intensiv / 4 Min locker
- 6 Min intensiv / 3 Min locker
- 4 Min intensiv / 2 Min locker
- 2 Min intensiv / 1 Min locker
Phase 3: Technik & Visuomotorik (10–15 Min)
- 2x 2 Min mit geschlossenen Augen
- 3x 1 Min Fixpunktläufe
- 3x 30 Sek Sprungläufe
Phase 4: Cool Down (10–15 Min)
- 5 Min „Schweben“
- 5 Min Mobilität
- 2–3 Min bewusste Atmung
Pyramidenstruktur mit SST-Elementen für Effizienz und neuromuskuläre Herausforderung
Dieses Aqua-Jogging-Training ist mehr als ein Ersatz für Laufen – es ist eine intelligente Erweiterung des Ausdauertrainings für ambitionierte Läufer:innen und Triathlet:innen. Die Pyramidenstruktur mit SST-Elementen schafft Effizienz, die visuelle Instabilität im Wasser fordert neuromuskulär heraus, und die gelenkschonende Umgebung schützt vor Überlastung. Insbesondere in der Offseason, bei Reha oder zur gezielten Technikschulung bietet dieses Training klare Vorteile – wissenschaftlich fundiert, mental fordernd und absolut effektiv.
Wissenschaftliche Hintergründe:
- Seiler, S. & Tønnessen, E. (2009): Intervals, Thresholds, and Long Slow Distance: the Role of Intensity and Duration in Endurance Training – über die Effektivität polarisierten vs. SST-orientierten Trainings
- Reilly, T., Dowzer, C. & Cable, N. T. (2003): The physiology of deep-water running – Nachweis der Effektivität von Aqua Jogging für VO2max und Herz-Kreislauf-System
- Martens et al. (2001): Perceptual training in sport: the role of attention, anticipation and visual search – Integration visueller Reize im Training für Bewegungsökonomie
Tipp: 1–2x wöchentlich durchgeführt, ist dieses Training eine wertvolle Ergänzung jedes strukturierten Lauf- oder Triathlonplans.